Geometrie und GPS

Allbrecht Cover Titel 340

Für eine erfolgreiche Navigation ist das Wissen um den eigenen Standort entscheidend. Seit den alten Seefahrern haben die technischen Möglichkeiten für eine  Positionsbestimmung eine enorme Entwicklung vollzogen: Von der Funknavigation und der Verwendung elektromagnetischer Signale, die von erdfesten Sendern ausgestrahlt werden, war es schließlich – zeitlich gesehen – nur ein kurzer Schritt zur Nutzung von Signalen, welche von Satelliten ausgesendet werden. Inzwischen lassen sich über 80% der deutschen Autofahrer von satellitengestützten Navigationsgeräten zum Ziel führen. Diese Technik hat damit eine so weite Verbreitung erfahren und ist so alltäglich geworden, dass sich kaum noch jemand über deren Funktionsweise Gedanken macht. Fragt man etwas hartnäckiger nach, so erfährt man, dass der eigene Standort aus den Orten von (mindestens) vier Satelliten und deren über die Signallaufzeit errechneten Entfernungen bestimmt wird. Die prinzipielle Funktion ist damit schon ganz passabel beschrieben, aber jeder technisch Interessierte weiß, dass für eine halbwegs exakte Positionsbestimmung von wenigen Metern die Positionen der Satelliten – die sich selbst mit einer enormen Geschwindigkeit bewegen – äußerst exakt bekannt sein müssen. Und eine Entfernungsbestimmung über Laufzeiten, wobei das Signal mit Lichtgeschwindigkeit unterwegs ist, benötigt eine Zeitmessung, die auf winzigste Sekundenbruchteile genau ist. Bei der Positionsbestimmung mit dem GPS gibt es viele weitere herausfordernde Problemstellungen:

Das Problem der exakten Zeitmessung wird scheinbar durch den Hinweis gelöst, dass sich an Bord der Satelliten hochgenaue Atomuhren befinden. Dies ist wohl richtig, allerdings haben die GPS-Empfänger keine Atomuhr eingebaut und eine Zeitdifferenz zwischen einer genauen und einer ungenauen Uhr zu messen, macht wenig Sinn. Für dieses Dilemma braucht es eine überzeugende Lösung.

Alle Satelliten senden auf ein und derselben Frequenz! Wenn 32 Personen in einem Raum alle gleichzeitig reden, werden Sie Probleme haben, die einzelnen Sprecher zu verstehen. Auch dieses Problem verlangt nach einer Lösung! Die Satellitensignale sind aus diesem Grund und für eine hohe Redundanz relativ aufwändig und interessant kodiert. Um diese Kodierung verstehen zu können, sind entsprechende Kenntnisse aus der Elektro- und Nachrichtentechnik unabdingbar.

Für die eigene Ortsbestimmung muss man den exakten Ort von mindestens 4 Satelliten kennen. Zu diesem Zweck übermitteln die Satelliten Ephemeriden, mit deren Hilfe die exakte Satellitenposition zu jeder beliebigen Uhrzeit berechnet werden kann. Dies ist jedoch bei einer Satellitengeschwindigkeit von rund 4 km pro Sekunde kein triviales Unterfangen, zumal für eine exaktie Positionsbestimmung des Empfängers auch die Satellitenpositionen auf den Meter genau ermittelt werden müssen. Will man die Lösung nachvollziehen, ist eine eingehende Beschäftigung mit der Himmelsmechanik notwendig.

Das notwendige mathematische Werkzeug zur Bewältigung der anstehenden Aufgaben für eine Positionsbestimmung aus vorliegenden Rohdaten umfasst eine große Bandbreite: So benötigt man vom ehrwürdigen Pythagoras, den trigonometrischen Funktionen und Ellipsen über mehrdimensionale Funktionen und deren partiellen Ableitungen und totalen Differentialen weitere Kenntnisse zur Reihenentwicklung  nach Taylor, die Gauss'sche Methode der kleinsten Quadrate, das mehrdimensionale Newton'sche Näherungsverfahren sowie eine gewisse Portion lineare Algebra und analytische Geometrie. Bereits aus dieser Schilderung wird deutlich, dass Sie robuste mathematische Fachkenntnisse benötigen, um gewinnbringend an der Veranstaltung teilnehmen zu können. Kenntnisse, die man zum Ende eines fünfjährigen Fachstudiums sicher voraussetzen kann:

Den "Pythagoras" und trigonometrische Funktionen sowie grundlegende Algebrakenntnisse bringen Sie bereits aus der Schule mit, diese wurden zudem in den Einführungsvorlesungen der ersten beiden Module nochmals vertieft. Im Modul 3 haben Sie Ihre Analysiskenntnisse aus der Oberstufe aufgefrischt und das einfache Newton'sche Näherungsverfahren kennengelernt. Im Modul 4 wiederholten Sie mit der linearen Algebra und der analytischen Geometrie ebenfalls bekannte Schulinhalte. In der Abbildungsgeometrie des  Moduls 5 wurden Abbildungsmatritzen behandelt, auf die wir nun wieder zurückgreifen. Zudem wurden in Modul 5 bereits einfache anwendungsbezogene Probleme mit mathematischen Werkzeugen gelöst. Für das Verständnis der elliptischen Planeten- bzw. Satellitenbahnen leistet die Koordinatengeometrie des ersten Moduls im Masterstudium ganz wesentliche Beiträge. Die dort ebenfalls beheimatete Analysis II weitet den Blick auf mehrdimensionale Funktionen und deren partielle Ableitungen. Somit fasst diese Veranstaltung all die seither rein auf der fachlichen Ebene vermittelten Inhalte anwendungsorientiert zusammen und Sie können damit die Zusammenhänge erkennen zwischen den einzelnen Fachdisziplinen und insbesondere, welchen Stellenwert die Mathematik bei der Lösung tatsächlicher, realer Aufgabenstellungen hat! Damit erhalten Sie – vielleicht erstmals – eine wirklich überzeugende Antwort auf die sicher auch von Ihnen häufig gestellte Frage, "wozu man das alles braucht"!

Aufgrund der Datenmenge, welche mit den genannten mathematischen Werkzeugen verarbeitet werden muss und den hierfür benötigten, durchaus komplexen Operationen ist dies weder mit dem Taschenrechner und schon gar nicht von Hand sinnvoll zu erledigen. Hierfür braucht es mächtigere Werkzeug wie Computer-Algebra-Systeme, z.B. Maxima oder MatlabMaxima hat als Open-Source-Software den vor allem für den Studienbetrieb unbestreitbaren Vorteil, dass es kostenlos ist. Zudem ist es auf allen gängigen Plattformen lauffähig. Stabile Fertigkeiten im Umgang mit Maxima und bei der Erstellung eigener Funktionen sind daher für das hier vorgestellte Projekt schlichtweg unabdingbar. Auch dies darf getrost vorausgesetzt werden, da Sie sich spätestens seit dem dritten Modul Ihres BA-Studiums an unserer Hochschule intensiv mit Maxima auseinandergesetzt haben. Nebenbei gewinnen Sie bei der Integration der vom Empfänger generierten Messwerte in Maxima Kenntnisse ganz grundlegender Methoden der Datenverarbeiteng.

Im Übrigen lassen sich komplexe naturwissenschaftliche Sachverhalte ungleich besser durch die gleichzeitige Präsentation von Gegebenheiten und Fakten sowohl beschrieben in einem Buch als auch dargestellt in Softwareroutinen nahebringen. Zum einen ergänzen sich Herleitung und Programm wirkungsvoll und die Richtigkeit von Überlegungen kann sofort verifiziert werden – wie dies beispielsweise bei der Positionsbestimmung von Satelliten aus den übermittelten Ephemeriden der Fall ist. Zum anderen lassen sich mit Rechnerhilfe technische Prozesse einfach simulieren und damit einem wirklichen Verstehen näherbringen – zu denken ist hier beispielsweise an die Generierung der PRN-Codes und die Darstellung der Autokorrelation zur Signaltrennung.

Wer tiefer in die Geheimnisse des Global Positioning Systems eindringen und die zugrundeliegenden Prozesse verstehen will, der stößt schnell auf eine exponentiell wachsende Anzahl von Fragen, Problemen und Themen, weil jeder Versuch der Generierung einer Antwort seinerseits neue Fragestellungen aufwirft. Damit ist der Problemkreis der Satellitennavigation hervorragend dafür geeignet, ganz unterschiedliche Themen aus der Physik, der Astronomie, der Nachrichtentechnik, der Datenverarbeitung und der Mathematik aufzugreifen und eine grundlegende Auseinandersetzung mit diesen spannenden Themen des häufig stiefmütterlich behandelten MINT-Bereichs zu motivieren.

Wir brauchen all die genannten Inhalte, um aus den vom GPS-Empfänger empfangenen und aufgezeichneten Rohdaten – dabei handelt es sich im wesentlichen um die sogenannten "Pseudoentfernungen" zu mindestens vier Satelliten – die Empfängerposition zu bestimmen. Wir tun das im Rahmen der Veranstaltung im steten Wechsel zwischen der Erarbeitung der Grundlagen und deren Umsetzung in verschiedene Maxima-Funktionen, mit welchen wir schließlich die Empfängerposition zum Aufnahmezeitpunkt berechnen können.

Ausgeprägte Kenntnisse aller bisher im Studium vermittelten mathematischen Inhalte bis hin zur Koordinatengeometrie sind eine unabdingbare(!) Voraussetzung für Ihre Teilnahme an dieser Veranstaltung. Dies betrifft insbesondere die Veranstaltungen zur Analysis, zur linearen Algebra und analytischen Geometrie, die angewandte Mathematik und die Abbildungsgeometrie sowie die Koordinatengeometrie. Es ist sicher kein Fehler, die Inhalte dieser Veranstaltungen im Vorfeld nochmals zu reaktivieren.

Zudem müssen Sie im Umgang mit dem Computer und insbesondere mit Maxima eine gewisse Routine erreicht haben. Nicht zuletzt muss Maxima auf Ihrem Laptop problemlos "laufen".

Sie werden bei der Erarbeitung viele mathematische Themen, die Sie während Ihres Studiums bisher nur in der Theorie und i.a.R. ohne Anwendungsbezug kennengelernt haben, als notwendige Grundlagen für die Lösung dieser höchst realen Anwendung einordnen können. Dies beginnt beim Satz des Pythagoras und bei der mathematischen Beschreibung der Ellipse, die zur Berechnung von Planetenbahnen benötigt wird, geht weiter zu mehrdimensionalen Funktionen und deren partiellen Ableitungen, die zur Linearisierung von Funktionen benötigt werden und endet noch lange nicht bei den Methoden der linearen Algebra und analytischen Geometrie. Es ist schließlich verblüffend und hoffentlich für Sie motivierend, wie mit Hilfe der aufgezählten mathematischen Verfahren aus fehlerbehafteten Signallaufzeiten zu mindestens vier Satelliten, die sich mit knapp 4 km/sec durch den Orbit bewegen, die Empfängerposition auf der Erde auf wenige Meter genau bestimmt werden kann.

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